Oum Kalthoums Stern leuchtet bis heute

Veröffentlicht am 2. September 2023 um 13:01

„Kawkab el-sharq“ (Stern des Orients)  – dieser Ehrentitel ist nur eine von vielen Bezeichnungen, die Om Kalthoum bereits zu Lebzeiten zuteil wurden. Präsident Nassr nannte sie einmal „Ägyptens vierte Pyramide“. Der Journalist Mustafa Amin meinte gar: "Über ihr steht nur der Koran".  In ihrem Heimatland hat sie auch noch 28 Jahre nach ihrem Tod Kultstatus.

Ich höre die "Stimme Ägyptens" zum ersten Mal, als wir in Luxor das Oum Kalthoum Café besuchen. Obwohl ich kein Musik-Experte bin, kann ich erkennen, dass diese Stimme etwas ganz Besonderes ist. Oum Kalthoum schafft es, die für arabische Lieder wichtige Kombination von klangvollen Worten und tiefsinnigem Text zu perfektionieren.  In ihren Darbietungen baut sie von Anfang an Spannung auf, die sie kontinuierlich bis zum Schluss steigert. Ihre Genialität liegt darin, dass sie jede Stimmlinie nur einmal singt. In Videos sieht man, wie das Publikum gebannt, mit angehaltenem Atem dieser Stimme folgt und bei jedem Lied am Ende  Beifallsstürme losbrechen. Die Zuschauer scheinen wie erlöst, wenn sie die zurückgehaltene Begeisterung endlich loslassen können.

Eine starke Frau, die für Emanzipation und Selbstständigkeit steht

Dabei beginnt ihr Leben sehr bescheiden in einem Dorf im östlichen Nildelta. Die Familie lebt in ärmlichen Verhältnissen. Mit Auftritten als Sänger bessert der Vater, der eigentlich Imam in der Moschee ist, das Einkommen ein wenig auf und ist wohl der entscheidende Faktor für die Musikleidenschaft seiner kleinen Tochter. Als er bemerkt, dass sie seinen Gesang imitiert und seine Stücke gut interpretieren kann, darf sie mit ihm zusammen auf die Bühne. Da diese Auftritte allerdings moralisch nicht mehr vertretbar sind, als Oum zur jungen Frau heranwächst, zieht sie Männerkleidung an, um weitermachen zu können.

Wie stark Oum Kalthoums Wille ist, zeigt sich spätestens, als ihr Vater sie verheiraten will. Sie schafft, was eigentlich unmöglich ist, weist alle Bewerber zurück und erreicht schließlich, dass sie wieder vor Publikum singen darf. Kurz darauf setzt sie sich erneut gegen ihren Vater durch und zieht endlich in die Hauptstadt. Von dort aus erreicht ihr Gesang bald die gesamte arabische Welt. Ihre Berühmtheit und Verehrung erreichen Ausmaße, die bis heute spürbar sind. Damals wie heute zieht sich ihre Bekanntheit und Verehrung durch alle  Gesellschaftsschichten. Diese Frau ist eine Legende und ein Beispiel für weibliche Stärke.   

Egal, ob in Syrien, im Irak, Libanon und auch in Israel – sie füllt überall die Konzertsäle. Einer ihrer größten Verehrer – der libysche Präsident Gaddafi – soll sogar einen Staatsstreich verschoben haben, um ihren Auftritt nicht zu verpassen. Abgesehen von arabischen Ländern ist Paris die einzige europäische Stadt, die sie für einen Auftritt besucht. Zweimal ist das Olympia ausverkauft - für Eintritsspreise, die angeblich ein vielfaches höher liegen als bei westlichen Stars der damaligen Zeit. Und auch ihre Gage ist doppelt so hoch wie von Maria Callas.

Ihre größte Liebe ist die Musik

So erfolgreich „die Stimme Ägyptens“ auch ist, ihr Privatleben ist weniger glücklich. Verehrer gibt es unzählige, auch viele männliche Freunde. Sie wird jedoch immer wieder enttäuscht. Hauptgrund für ihre späte Heirat im Alter von 50 Jahren ist jedoch, dass die Musik ihre größte Liebe ist und sie nicht Gefahr laufen will, von einem Ehemann daran gehindert zu werden, weiterhin auf der Bühne zu stehen. In Hassan el Sayed el Hefnawy findet sie jedoch den Lebenspartner, der ihr keine Steine in den Weg legt und der bis zu ihrem Tod an ihrer Seite ist.

Ihr genaues Geburtsdatum ist nicht endgültig geklärt. Irgendwann zwischen 1898 und 1910 soll sie das Licht der Welt erblickt haben, immer wieder wird der 4. Mai 1904 genannt. Gestorben ist Oum Kalthoum am 3. Februar 1975 an den Folgen einer Nierenentzündung. Ihr Tod stürzt nicht nur ihre Heimat Ägypten, sondern ihre Fans im ganzen Nahen und Mittleren Osten in tiefe Trauer. Am Tag ihrer Beerdigung finden sich einige Millionen Menschen auf Kairos Straßen ein, um der „Stimme Ägyptens“ die letzte Ehre zu erweisen. Ihr Sarg wird den offiziellen Trägern auf dem Weg zum Friedhof von fremden Menschen abgenommen und immer wieder weitergereicht. Über viele Umwege erreicht er schließlich erst nach über drei Stunden ihre letzte Ruhestätte.

Die Einzigartigkeit ihrer Stimme, ihre perfekte  Gesangstechnik und ihre überwältigende Bühnenpräsenz sorgten zu Lebzeiten für Begeisterungsstürme und Standing Ovations bei ihren Auftritten. Der "Stern des Orients" leuchtet jedoch bis heute und zieht immer noch die Menschen in seinen Bann.